Moderner Schöpfungspsalm

veröffentlicht in:

Zeitschrift für Theologie + Gemeinde; 8. Jahrgang - 2003 - S. 411

Am Anfang war physikalisch nichts. Unvorstellbar für uns. Keine Zeit, kein Raum, nichts, woran Orientierung möglich wäre. Doch Du, Gott, bist nicht von dieser Welt, Du warst vor Zeit und Raum. Und dann riefst Du, Gott. Du riefst aus dem Nichts etwas ins Dasein. Von einem Punkt aus breitete sich der Kosmos aus. Raum und Zeit begannen. Astrophysiker sprechen heute vom Urknall. Noch heute breitet sich der Kosmos aus. An der Spektralverschiebung können wir es messen.

Ferne Sterne senden uns ihr Licht. Wir können den Fingerabdruck Deiner Schöpfung in den Spektrallinien erkennen. Diese fernen Sterne bestehen aus den gleichen Stoffen wie unsere Sonne. Wir kennen sie auch von der Erde. Aber die Linien sind verschoben aufgrund des Dopplereffektes. Die Sterne entfernen sich also von uns und je weiter der Stern weg ist, umso schneller entfernt er sich. Der Kosmos dehnt sich also aus, ähnlich einem Ballon, der aufgeblasen wird.

Warum hast Du, mein Gott, den Kosmos in gerade drei Raumdimensionen geschaffen, mit der Zeit als vierte Dimension? Warum ist der Kosmos in sich gekrümmt, so dass, wenn man immer geradeaus gehen würde, man wieder am Ursprungsort ankäme? Warum ist die Lichtgeschwindigkeit 299.792 km/s? Warum ist die Zahl pi 3,14159...? Warum gilt das Hebelgesetz? Warum ist Masse verdichtete Energie? Was macht Masse schwer und warum ziehen sich die Massen an?

Du hast Dir das Licht einfallen lassen? Manchmal denken wir es uns als eine elektromagnetische Strahlung, eine Wechselwirkung von elektrischen und magnetischen Feldern. Wir können seine Schwingungshäufigkeit angeben und daraus seine Wellenlänge. Aber damit können wir nicht erklären, warum die Schwerkraft großer Sterne das Licht ablenkt, es gewissermaßen um die Ecke gehen lässt. Wir können es auch durch ganz kleine Teilchen – durch Photonen – beschreiben. Dann könnten wir es wissen, warum diese von den Sternen angezogen werden.

Aber damit können wir andere Effekte nicht mehr erklären, z.B. den Dopplereffekt. Du hast Dir damit wirklich etwas Tolles einfallen lassen, etwas, für das unsere Köpfe mit unseren begrenzten Denkmodellen viel zu klein sind. Wir müssen immer wieder zwischen dem Flickwerk unserer Modelle umschalten, um mal diesen, mal jenen Effekt erklären zu können. Aber das Ganze bekommen wir nicht in den Blick.

Und dann hast Du die Materie geschaffen. Keiner weiß, woher sie kam. Wir wissen heute nur, dass sie eine besonders dichte Form von Energie ist. Wir können sogar bei der Kernspaltung begrenzt Masse in Energie verwandeln. Nicht immer aber ist uns dieses Wissen zum Segen geworden. Aber wir können keine Energie oder Masse vernichten oder erzeugen, nur wandeln können wir von einer Form in die andere. Du aber hast das alles geschaffen. Ganz unscheinbar war sie da am Anfang – die Materie. Wasserstoff-Moleküle, ganz fein verteilt, kaum sichtbar. Und dann riefst Du sie zusammen an einigen Stellen im Weltall. Immer dichter wurden die Wasserstoffwolken. Du hattest die Materie so geschaffen, dass sie sich anzieht.

Irgendwo ist es dann zum ersten Mal passiert. Aber wieso? Zwei Atome von schwerem Wasserstoff verschmolzen zu einem Helium-Atom. Gewaltige Energie wurde dabei frei, und schon taten andere Atome es ihnen gleich. Eine Kettenreaktion setzte ein. Der erste leuchtende Stern war geboren! Viele, viele weitere entstanden. Aber sie leuchten nicht ewig. Viele Sterne sind schon vergangen. Aus ihnen sind erst rote Riesen und dann weiße Zwerge geworden. Noch größere wurden zu schwarzen Löchern, die alles in ihrer Nähe verschlingen. Sogar das Licht kann ihnen nicht mehr entweichen und sogar die Zeit bleibt in ihnen stehen. Wenn ich daran denke, wird mir ganz schwindelig. Die Zeit scheint uns Menschen so absolut zu sein.

Aber das stimmt ja gar nicht. Sie ist relativ. Sie hängt davon ab, wie schnell ich mich bewege! Albert Einstein war der erste, der das erkannte. Aber Du bist der Herr über alles. Du lässt Sterne entstehen und wieder vergehen. Du bist auch der Herr über die schwarzen Löcher in denen die Zeit endet. Du setzt Anfang und Ende und auch unsere Zeit ist in Deinen Händen! Herr, ich staune und ich lobe Dich!

Nicht nur das ganz Große ist Dir wichtig, sondern auch im Mikrokosmos hast Du für Ordnung gesorgt. Nur auf ganz bestimmten Niveaus können sich die Elektronen im Umkreis der Atomkerne aufhalten. Dazwischen sind sie nie. Du hast es ihnen streng verboten. Und doch können sie wechseln – von einer Bahn zur anderen. Wenn sie es nicht könnten, hätten wir kein Licht. Sie müssen also durch einen Bereich durch, wo sie gar nicht sein dürfen. Das widerspricht unseren gängigen Vorstellungen. Und doch ist es so! Ich merke, dass unser Wissen doch sehr begrenzt ist. Vieles werden wir bestimmt noch entdecken. Ich bin richtig gespannt darauf, was uns dieses Abenteuer Forschung noch alles bringen wird.

Oft öffnen sich uns Türen in diesem uns noch sehr unbekannten Gebäude Deiner Schöpfung. Aber danach befinden wir uns sehr oft in einem neuen Raum mit vielen weiteren neuen Türen, von denen wir im Augenblick nicht wissen, wie sie sich öffnen und wohin sie uns führen. Bestimmte Türen werden uns allerdings immer verschlossen bleiben. Wenn wir z.B. ganz exakt sagen wollen, wo sich ein Teilchen befindet, bleibt uns völlig unklar, wie schnell es sich bewegt. Oder wir wollen ganz exakt wissen, wie schnell es ist. Aber dann wissen wir überhaupt nicht, wo es ist. Beides zusammen geht nicht exakt zu bestimmen. Wir können also alles nur begrenzt genau wissen. Werner Heisenberg hat uns mit diesem Beispiel darauf hingewiesen, dass es Dinge gibt, die wir prinzipiell nicht erkennen können, ganz gleich, wie gut unsere Messgeräte auch noch werden könnten.

Eine weitere tolle Sache, die Du gemacht hast, ist der Kohlenstoff. Damit kann man fast alles machen. Kein Baustein aus dem Baukasten Deiner Materie ist so vielseitig. Ich staune immer nur, was unsere Chemiker an Kunststoffen daraus zu Wege bringen. Aber Du hast noch etwas viel Größeres daraus gemacht. Du hast Leben entstehen lassen. Eiweißketten, Einzeller... Ja, Materie, die in der Lage ist, sich selbst wieder zu reproduzieren. Unvorstellbar! Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung hätte das fast nicht passieren können. Dass sich alle Menschen auf dieser Welt am 27. Mai dieses Jahres zwischen 10:00 Uhr und 10:01 Uhr MEZ beim Autofahren und gleichzeitigem Telefonieren mit ihrem Handy den linken Zeigefinger in der Nase zerbrechen werden und dabei 'Heureka' rufen, ist schon fast absolute Gewissheit gegenüber der (Un-)Wahrscheinlichkeit, dass Leben überhaupt entstehen konnte.

Aber es wurde! Und die Bedingungen auf unserem Planeten waren so, dass es sich weiterentwickeln konnte. Wir wissen heute, wie schmal der Bereich der Bedingungen ist, in denen Leben möglich ist. Nur unsere Erde mit ihrem Abstand zur Sonne hat die entsprechenden Temperaturen. Ein wenig näher wird es zu heiß und ein wenig weiter weg wird es zu kalt. Ich kann nicht anders, ich muss es glauben: Wenn Du da Deine Finger nicht drin gehabt hättest, wäre es beim Chaos geblieben und es wäre aus der ganzen Sache nichts geworden!

Aber jetzt kommt der eigentliche Clou: Du hast auch mich geschaffen. Und das ist doch das, was mich am meisten wundert. Manchmal gibt es Zeiten, da zweifele ich an mir selbst. Da denke ich, warum ich gerade so bin, wie ich bin – mit all meinen Macken und Fehlern und mit meiner Schuld. Und dann komme ich mir so entsetzlich überflüssig vor. Aber dann muss ich es mir immer wieder sagen lassen: Du hast mich so gewollt. Du hast mich so geschaffen, wie ich bin! Natürlich habe ich auch selbst etwas aus mir gemacht, und dafür bin ich auch verantwortlich. Auch für meine Schuld und für meine Fehler! Und doch, Du hast Dir mit mir etwas gedacht. Ich bin nicht nur ein Zufallsprodukt, keine zufällig neue Kombinationen von DNS-Molekülen. Genauso diese Welt, soll sie nur Zufall sein? Nein, Du hast Dir auch bei ihr etwas gedacht.

Etwas einmalig Großes – auch wenn wir das nicht immer gleich erkennen können. Ein Gedanke von Dir bin ich! Wenn das ja so stimmt, dann muss ich mich fragen: Was habe ich aus dieser Welt gemacht? Hängt das nicht damit zusammen, was ich aus mir gemacht habe? Ich habe oft genug mein Lebensziel, das Du mir vorgegeben hast, verfehlt. Sünde nennst Du das. Ich weiß, ich muss an vielen Stellen neu anfangen.

Ich wünschte mir, dass es auch bei mir ab und zu so einen Urknall gäbe, wo die Zeit wieder neu zu laufen beginnt und ich aus meinem schwarzen Loch herauskomme. Aber Du hast ja tatsächlich so einen Neuanfang mit uns gemacht. Durch Deinen Sohn Jesus Christus hast Du die Zeitenwende herbeigeführt und einen schöpferischen Neuanfang mit uns Menschen gemacht. Das Leben kann noch einmal beginnen! Ich danke Dir dafür!

 

 Prof. Dr. Frank Ley



RSS Feed Christuskirche

Diese Website verwendet Cookies.
Wir möchten eine bestmögliche Transparenz bieten und Sie darauf hinweisen.